Zum Inhalt springen

Franz Kapfer:
Atlanten – Ich oder das Chaos
22.6.–1.9.2024

Ausstellung

Geschichte formt nicht nur die Gegenwart, die Nachwirkungen des vermeintlich Vergangenen sind grundlegend für unsere Zeit und die Zukunft. Mythische Erzählungen schreiben sich regelrecht in die Gesellschaft und ihre politischen Körper ein, die ihrerseits beeinflussen, wessen Geschichten überhaupt erzählt werden. In der Untersuchung und Interpretation von geschichtsträchtig überfrachteten Objekten beschäftigt sich Franz Kapfer mit Methoden der Geschichtsschreibung und untersucht, wie diese politisch und medial genutzt und mitunter missbraucht werden. Kapfer legt so offen, wie historische Symbole, Chiffren und Denkmäler Einfluss auf heutige Gesellschaften und ihre Zusammensetzung ausüben und welche politische Dimension sie haben.

Im Rahmen des Würdigungspreises des Landes Steiermark für Bildende Kunst 2022 wird Kapfer eine neue großformatige Werkgruppe realisieren, die sich mit der mythologischen Figur und der skulpturalen Tradition der Atlanten beschäftigt. Als Atlanten werden männliche, muskulöse und überlebensgroße Säulen-Figuren in der Baukunst in Anlehnung an Atlas bezeichnet, den titanischen Himmelsträger der griechischen Mythologie. Diese Installation wird neben bestehenden Werken in einer künstlerischen Gesamtbetrachtung gezeigt und gibt einen umfangreichen Einblick in das Schaffen des Künstlers. Die Ausstellung zeigt in einer Kombination aus neuen und alten Arbeiten retrospektiv einen repräsentativen Ausschnitt des bisherigen Oeuvres des Künstlers.

Pressegespräch: 21.6.2024, 10 Uhr, HALLE FÜR KUNST
Prolog: 21.6.2024, 17 Uhr, Landeszeughaus Graz
Eröffnung: 21.6.2024, 18 Uhr, HALLE FÜR KUNST

Kooperation: Landeszeughaus Graz, Universalmuseum Joanneum

Ansichten

Franz Kapfer, Ich oder das Chaos, 2015

Bemaltes Holz, 5002105 cm

Courtesy evn Sammlung, Maria Enzersdorf

Text

Wesentliche Werkgruppen werden zum ersten Mal in Österreich gezeigt. Diese eröffnen eine Erzählung, die sich über detaillierte Rekonstruktionen eines von Napoleon beauftragten und seine Insignien beinhaltenden Eingangstors am Pariser Louvre, dem Löwenbrunnen zu Ehren Alexander des Großen in Skopje sowie Elementen von Tempelanlagen, die von der nordkoreanischen Diktatorenfamilie zur Etablierung einer dynastischen Erbfolge genutzt werden, erstreckt. Es entsteht ein komplexes Geflecht aus Geschichten, die sich zu einem Bild verdichten, das von Architektur, Repräsentation, Macht und dessen Missbrauch erzählt.

In einer lang angelegten, der Ausstellung vorausgehenden Recherche mit mehrmonatigen Aufenthalten in Mexico City, Kiew, Istanbul und Jerusalem verknüpft Kapfer darüber hinaus die mythischen Weltenträger der Atlanten mit dem Equipment gegenwärtiger (para-)militärischer Einheiten aus der ganzen Welt, um so zu verdeutlichen, wie Diktatoren, Despoten und totalitäre Herrscher immer wieder den Rückbezug auf eine vermeintlich bessere, heroische Vergangenheit praktizieren. Der Ausstellungstitel Atlanten – Ich oder das Chaos nimmt so auch Bezug auf die Annektierung der ukrainischen Krim durch Russland und dessen Angriffskrieg seit Februar 2022. Zugleich wird hier auf die politische Tendenz von Diktatoren mit imperialistischen Bestrebungen angespielt, sich als starker Mann“ und Retter der Gesellschaft zu inszenieren.

Die von Kapfer für die Ausstellung aus Holz mit einem überdimensionalen Maßstab und schattenhafter Darstellung in Schichten produzierten Artefakte führen die Assoziation einer realen Benutzbarkeit durch den Menschen ad absurdum und erschöpfen sich so in einer symbolisch aufgeladenen Geste. Sie wirken – in Dimension und Volumen verändert – eigentümlich flach, ähnlich der anderen Arbeiten der Ausstellung, die wie Kulissen anmuten. Kapfer greift hier auf die historische Kultur der Azteken und der Tolteken, die Atlanten von Tula, zurück, die er in Mexiko besucht hat und auf die sich auch mexikanische Einheiten in Form von Chiffren beziehen. Mit ihren viereinhalb Metern Höhe und somit in dreifacher Lebensgröße bieten sie ihm den Größenumfang für die gesamte Arbeit. Diese fast comicartige oder an Pop-Art erinnernde Überspitzung spiegelt die Selbstherrlichkeit autokratischer Herrscher und souveräner Gewalten wider, die auf mythologische Erzählungen zur Selbstüberhöhung zurückgreifen.

Der Würdigungspreis des Landes Steiermark für Bildende Kunst wird alle zwei Jahre vom Land verliehen, wobei die Entscheidung von einer Fachjury getroffen wird, die eine Präsentation in der HALLE FÜR KUNST Steiermark vorsieht. Jury-Mitglied Rainer Fuchs schrieb in der Begründung zur Verleihung des Würdigungspreises für bildende Kunst an Franz Kapfer: In seinen Installationen, Videos und Performances hinterfragt Franz Kapfer geschichtliche und gegenwärtige Rituale, die in meist verinnerlichter Form das gesellschaftliche Leben und seine Wertvorstellungen bestimmen. Es sind tradierte und stereotype Klischees von Macht und Wahrheit, wie sie uns in ästhetisierter Form etwa in Denkmälern und Gebräuchen, aber auch in den aktuellen politischen Diskursen begegnen. Kapfer macht die oft verdrängten oder geleugneten machtpolitischen Motive religiöser und weltlicher Ideologien in ihren alltäglichen und existentiellen Auswirkungen erkennbar, ohne in eine didaktische oder moralisierende Haltung zu verfallen.“

Dabei legt Kapfer offizielle Narrationen der Geschichtsschreibung und Gründungsmythen offen, die eng verwoben sind mit anderen Konstrukten, die oft in der folgenden Triade verstanden werden: Nation, Souveränität und Territorium. Souveräne Macht als Gewalt an Körpern kann dabei auch von nicht-staatlichen Gruppen ausgeführt werden, die sich etwa in Konkurrenz mit staatlicher Macht oder anderen (nicht-)staatlichen Gruppierungen innerhalb eines Territoriums oder sogar auf internationaler Ebene befinden.

Neben der HALLE FÜR KUNST Steiermark bespielt Kapfer mit einer simultanen Intervention das Landeszeughaus Graz, das eine umfangreiche neuzeitliche Waffensammlung in einer historischen Anordnung verwahrt. Hier hat der Künstler zehn großformatige Arbeiten in Form von farbstarken Papierschablonen installiert, die aufgeständert als Baupläne der düsteren Versionen der Atlanten fungieren, die wiederum in der HALLE FÜR KUNST ausgestellt sind. So wird eine Verbindungslinie zwischen beiden Häusern etabliert, die mit Rückgriff auf die Vergangenheit hin zu gegenwärtigen Repräsentationen von Machtsymbolen einen wirkmächtigen Bogen in unsere konfliktreiche Gegenwart zieht.

Franz Kapfer schlägt durch seine direkte Konfrontation, die die Widersinnigkeit jener Machtphantasien spiegeln, ein Innehalten hin zu einem reflektierten und friedlichen Miteinander vor. Durch die Decodierungen von wirkmächtigen Symbolen schafft er auf visuelle und haptische Weise Gegennarrationen zu offiziellen wie überlieferten Geschichtsschreibungen und die mit ihr verbundenen Machtstrukturen. Durch diese Enthüllungen und ihre überhöhte Darstellung gelingt es Kapfer, bislang unentdeckte Verbindungen sichtbar zu machen und oft gewollt Verdrängtes offenzulegen. Kapfer arbeitet sich als unerbittlicher Handwerker an der Geschichte ab, seine Arbeiten entstehen regelrecht aus den Trümmern der Vergangenheit. Denn die Vergangenheit holt die Gegenwart unermüdlich ein, ihre Archive und Artefakte sind grundlegend für die Gegenwart und halten die Zukunft gestaltbar. Kapfer erinnert an Vergessenes und zertrümmert Verstörendes, um Neues entstehen zu lassen.

Zur Ausstellung erscheint ein vom Künstler gestaltetes Posterbook mit einem Text von Roger M. Buergel (u.a. künstlerischer Leiter der documenta 12), das Kapfers Recherchereisen dokumentiert und seine Arbeiten rund um die Atlanten neu verortet.

Kurator: Jan Tappe

Künstler:innen

Teilnehmende Künstler:innen

Franz Kapfer

*1971 Fürstenfeld, lebt in Wien

Solo (u.a.): Kunst am Bau, Graz (2025), Club Hybrid, Graz (2021), museumORTH, Orth (2020), Museum Hartberg (2017), GPLcontemporary, Wien (2016), Kunstpavillon Innsbruck (2009), Belvedere, Wien (2008), Museum Moderner Kunst Stiftung Wörlen, Passau (2007), Salzburger Kunstverein (2006), Galerie Hohenlohe, Wien (2006), Bétonsalon, Paris (2005), Galerie Hohenlohe, Wien (2004), Neue Galerie am Universalmuseum Joanneum, Studio, Graz (2002); Shows (u.a.): Kyiv Biennale, Wien (2023), evn sammlung, Maria Enzersdorf (2022), Neue Galerie am Universalmuseum Joanneum, Graz (2022), HALLE FÜR KUNST Steiermark, Graz (2021), Lentos Kunstmuseum, Linz (2021), Sala Omnia, Bukarest (2019), Würtembergischer Kunstverein, Stuttgart (2019), EVN collection, Plowdiw (2019), Kunsthaus Graz (2018), Zeta Art Center & Gallery, Tirana (2018), Belvedere 21, Wien (2017), Biennale Gherdëina 5, Ortisei (2016), MUSA, Wien (2016), GFZK, Leipzig (2015), Kyiv Biennial, Kiew (2015), Kunsthalle Mainz (2015), University Museum and Art Gallery, Hong Kong (2015), National Centre for Contemporary Arts, Nizhny Novigrad und Moskau (2014), Leopold Museum, Wien (2014), Secession, Wien (2014), Ferdinandeum, Innsbruck (2013), Ludwig Museúm, Budapest (2013), Depo, jüdische Bäckerei und Österreichisches Kulturforum, Istanbul (2013), Lentos Linz (2012), Busan Biennale (2012), MUAC, Mexico City (2012), Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2011), Museum of Contemporary Art, Kraków (2011), BWA SOKOL Gallery of Contemporary Art, Nowy Sącz (2011), im Rahmen von Franz West, Extroversion, 54. Biennale di Venezia, Venedig (2011)

Presse

Downloads & Termine